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Warum ich raus aufs Land will

wo ich herkomme und was das mit einem Wolf im Prenzlauer Berg zu tun hat:

Der Journalismus steckt in einer Krise. Sie betrifft nicht nur Anzeigekunden und Gehälter, es ist vor allem auch eine Vertrauenskrise. Deshalb gehe ich auf Wanderschaft. Auch wenn das klingt wie zwei verschiedene Dinge: Ich glaube sie gehören zusammen.

Als ich 15 Jahre alt war, gab es diese Krise noch nicht. Damals lebte ich in einer niedersächsischen Kleinstadt: eine Hauptstraße, fünf Bäcker und ein winziger Bahnhof. Die Welt fühlte sich sehr weit weg und sehr kompliziert an. Dann brachte uns der Politiklehrer eine Wochenzeitung mit in die Schule. Es war eine wundervolle Entdeckung. Darin waren Texte aus allen Ecken der Welt. Große Reportagen, kleine Beobachtungen – die Zeitung war wie eine Art Fernglas, mit dessen Hilfe das Ferne nah herangeholt wird. Ich vertraute der Zeitung, mir ein wahres Bild dieser Welt zu zeigen.

Heute arbeite ich selbst als Journalist für solche Zeitungen, doch die Zeiten haben sich geändert. Viele Menschen glauben nicht mehr, dass wir die Welt gut abbilden. Man wirft uns vor, wir würden in einer Großstadt-Blase leben, nicht mehr rausgehen, zu wenig mit den Menschen sprechen. Manche Kritiker*innen sagen: Wir seien abgehoben und elitär – und hätten den Blick auf große Teile der Gesellschaft verloren. Ein schwerer Vorwurf, der leider einen wahren Kern enthält.

Vergangene Woche veröffentlichte ein Autor in der ZEIT ein Essay zum Thema Stadt und Land. Der Journalist schrieb, es gehe ein Spalt durch die Gesellschaft. Die Menschen in der Stadt würden den Menschen auf dem Land nicht mehr zuhören. Er schrieb: „Solange der Wolf nicht in Prenzlauer Berg an einer Bar sitzt, ist er wohl Deutschlands beliebtestes Tier.“ Er erklärte: Die Menschen im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg setzten sich für den Wolfs-Schutz ein, weil sie dem Tier eh nicht begegnen. Die Menschen auf dem Land hingegen würden den Wolf ablehnen.

Er meinte: Die Ökos in der Stadt würden bestimmen, worüber der Rest von Deutschland redet.

Ich glaube der Autor hat in einer Sache Recht und liegt in einer anderen ganz fatal falsch.

Denn natürlich: Alle großen Zeitungs-Redaktionen sitzen in Berlin, Hamburg, Frankfurt und München. Dort leben zusammen genommen etwa acht Millionen Menschen, ein Bruchteil der Gesamtbevölkerung. Hinzu kommt: Journalist*innen sind eine sehr homogene Gruppe: Die meisten von uns sind weiß, ohne Migrationshintergrund und stammen aus einem akademischen Elternhaus. Viele von uns sind in Westdeutschland aufgewachsen.

Wie sollen Journalist*innen also mitbekommen, was den Rest des Landes bewegt?

Schwierig.

Und wie sollen die Leser den Zeitungen dann noch vertrauen, ein wahres Bild von der Welt zu zeichnen?

Auch schwierig.

Wie auch jener Autor in der ZEIT glaube ich: Wir Journalist*innen müssen unsere Komfortzone verlassen und denjenigen Menschen zuhören, die nicht in unserer Blase leben. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, Menschen, die um ihre Existenz kämpfen und Menschen, die an Orten leben, für die sich niemand interessiert.

Sonst bleiben wir in Klischees hängen.

Und genau das ist auch dem ZEIT-Autor passiert.

Denn natürlich sind nicht alle Menschen auf dem Land Wolfsfeinde (dort wo ich herkomme, gibt es eine Menge Wölfe) und natürlich wählen nicht alle Menschen in der Stadt grün (auch das kann ich aus Erfahrung versichern).

Die Realität ist komplexer: Da gibt es konservative Windrad-Verteidiger auf dem Dorf, die an der Technik verdienen und grüne Windrad-Gegner in der Stadt, die die Vögel schützen wollen. Da gibt es wohlhabende Menschen auf dem Land, die deutlich mehr Einfluss auf die Politik haben, als die sozial Benachteiligten in der Stadt. Da gibt es solche in der Stadt, die nur wegen ihres Arbeitsplatzes dort wohnen – und es gibt solche auf dem Land, die es sich leisten können, nicht in der Stadt arbeiten zu müssen.

Ich glaube immer noch daran, dass Journalismus eine Art Fernglas sein kann. Nur reicht es eben nicht, nur hinzuschauen und dann doch wieder Klischees zu bedienen– wir müssen zu denen fahren, die keine laute Stimme haben, wir müssen den Leuten genau zuhören und wir müssen uns Zeit nehmen.

Das ist vielleicht sogar das wichtigste: Sich Zeit zu nehmen.

Deshalb gehe ich Anfang Juli auf Wanderschaft: Ich werde von Ort zu Ort ziehen und in Lokalredaktionen meine Dienste anbieten. Ich will den Menschen genau zuhören und mir Zeit für ihre Geschichten nehmen.

Ich will eine komplexe Welt nah heran holen – und ein wenig Vertrauen zurück gewinnen.

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