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Hinter der Geschichte III – Von Rostock bis nach Zwickau

oder: Wo bleiben eigentlich die Nazis?

Reiseroute (grob) Teil I

Von Rostock aus rase ich in Richtung Süden, halte in Neubrandenburg, arbeite für die Lokalzeitung, ziehe weiter, vorbei an noch mehr Seen und noch mehr Dörfern, mitten durch ein Land, das beim Besiedeln vergessen worden sein muss. 

Dann lande ich in Görlitz, zweigeteilte Stadt, hier Deutschland da Polen. Da sprechen zwar alle mindestens zwei Sprachen, aber man verdient nur die Hälfte. Da kostet auch alles nur die Hälfte, da hofft man, dass die deutschen Touristen rüberschwappen. 

Das zumindest ist die Perspektive von hier aus, Görlitz. Die Stadt, in der sie gerade noch den AfD-Bürgermeister verhindert hatten.

Der Elefant im Raum

Und das ist dann auch die erste Frage: „Bist du hier um über Nazis zu berichten?“ Ich sitze im Innenhof eines linken Kulturzentrums, wo ich mein Zelt aufschlagen will. Um mich herum auf alten Bänken drei Linke mit polnischem Bier in der Hand. Sie schauen mich kritisch an, dann die Frage: warum? 

Antwort: Journalist. Aus Westdeutschland. 

Augenbraue hoch: Also klar. Nazis.

Grob jeder fünfte Wahlgänger wird in Ostdeutschland zukünftig die AfD wählen. Das sagen die Prognosen. Es gibt Dörfer wie Jameln in Mecklenburg-Vorpommern, die bereits den Nazis gehören und Orte wie Zwickau in Sachsen, von wo aus die Terroristen vom NSU viele Jahre unbehelligt ihre Mordzüge starten konnten. 

Nur ist das nicht mein Thema, ich habe keine Lust auf Nazis. 

„Aber du bist doch Journalist“, wird mir später eine westdeutsche Kollegin sagen, „das ist doch der Elefant im Raum. Du musst einfach darüber reden.“

Nein, muss ich nicht. Will ich nicht. Das können gerne andere machen: Die Kolleg*innen von der Freien Presse in Zwickau zum Beispiel, die damit tagtäglich umzugehen haben, oder die Antifa-Gruppen in Görlitz, die sich seit Jahren mit den Nazi-Strukturen beschäftigen – oder meinetwegen das Investigativressort der Zeit. 

Ich glaube, im öffentlichen Diskurs ist es wichtig, wer über was spricht. Wer ist die privilegierte Person? Wer ist Teil einer Community? Welche Diskurse werden bedient?

Für mich gibt es da ein wichtigen Unterschied. 

Wenn wir über das Thema Ostdeutschland sprechen, merke ich: Es wird kollektiviert. Das bedeutet, das Problem wird einer Gruppe von Menschen angehängt: „Der Osten ist braun“, und: „die sind doch alle rechts.“

Der Schluss solcher Aussagen müsste sein: Die spezifische ostdeutsche Erfahrung hat die Menschen zu Rassisten gemacht. Aber das ist natürlich Blödsinn. Denn klar ist: Rassismus gibt es auch im Westen und Nazis ganz sicher auch.

Die ganze Nummer ist komplexer und es ist nicht meine Aufgabe, das zu analysieren.

Ich will zuhören.

Kurzer Exkurs, zurück nach Görlitz. Der Himmel ist grau, es tröpfelt, ich nehme ein polnisches Bier entgegen, trinke einen Schluck und sage: „Nö. Eigentlich will ich erst einmal nur zuhören.“ (Redundanz, ich weiß. War aber so)

Das scheint gut anzukommen, denn wir verbringen den Abend zusammen. Spielen Kicker, bestellen Pizza und trinken noch mehr Dosenbier. Clemens und Robert sagen: „Wenn man es mal nüchtern betrachtet, dann ist Görlitz eigentlich der schönste Ort zum Leben.“

Wir reden darüber, warum trotzdem so viele weggegangen sind („keine Jobs“) und was das mit den alternativen Strukturen macht („es fehlt der Nachwuchs“). Wir sprechen über die Beziehung zu Polen („super wenig Kontakt“) und die Frage nach der gefühlten Sicherheit („Die Kriminalität geht zurück, trotzdem wünschen sich alle mehr Polizei“). 

Am Ende des Abends werde ich noch ins erste besetzte Haus in Jena eingeladen.

Danke und auf Wiedersehen.

Kohlegrube schlägt See

Weiter: Raus aus der Stadt und an die Straße, südliche Lausitz. Meine Mitfahrgelegenheit Knut arbeitet bei der Bahn („früher hatte jedes Dorf eine Bahnanbindung, heute gibt es nicht ma‘ mehr einen Bus in die Stadt“) und mit der Berufswahl hat er anscheinend alles richtig gemacht, „weil für die anderen“, sagt er, „passiert gerade der zweite große Umbruch ihres Lebens.“

Wenn es ein zentrales Motiv in Ostdeutschland geben soll, dann ist es die Wende. Ein Erdbeben in den Biographien. Egal, mit wem man redet: Es gibt immer ein Vorher – und ein Nachher. Ein früher und ein heute. Und für viele war das Nachher keine gute Erfahrung.

So auch in der Lausitz. Damals wurde die Industrie von der Treuhand abgewickelt und plötzlich fühlte sich die Existenz fragil an. Wie sollte man nun Geld verdienen? 

Heute, dreißig Jahre später, soll die Kohle abgewickelt werden und mit einem Mal ist dieses Gefühl wieder da. Das zumindest erzählt Knut und fährt mich zu den großen Seen. Ach was, zu den gigantischen Seen, wunderschön, blau glänzend liegen sie inmitten von saftigen Wäldern. Früher schaufelten hier die Kohlebagger.

Seien wir mal ehrlich: Vom ästhetischen (und ökologischen) Standpunkt aus, schlägt so ein See eine Kohlegrube um Längen. 

Nur umgekehrt schlägt ein Job eben den Tag am Seestrand.

Die graue Stadt

Nächster Halt: Riesa. Steffen sammelt mich ein, war mal Gewichtheber, deshalb das breite Kreuz. Sagt: „Es müsste mal was über Riesa geschrieben werden.“ Übers Aussterben einer Stadt. Ich sage: „Kann ich machen, ich brauche nur einen Schlafplatz.“ Die Sache ist gebongt und wir machen einen Schlenker nach Norden. Er telefoniert sich die Finger wund, um mir einen Gesprächspartner aufzutreiben. Am Ende ist es dann ein Wessi, der vermutlich mehr Heimatliebe zu Riesa verspürt als jeder Sachse. Der sagt: „Ich glaube fest an diese Stadt.“

Riesa

Überhaupt, was mir auffällt: Obwohl es sehr viele stolze Sachsen gibt – mit seiner eigenen Stadt hat hier fast jeder ein Problem. In der Erzählung ist der jeweilige Ort oft „ausgestorben“, „hässlich“, „langweilig“. Riesa, sagen manche Riesaer, sei einfach nur grau.

Finde ich gar nicht und stürze mich in die Erzählung dieser Stadt. Text folgt.

Hallo, hallo Zwickau

Last stop: Zwickau. Autostadt, NSU-Stadt, Tor zum Erzgebirge, Kohlegrube. 

Wunderschöne Altstadt, aber keine Fahrradwege. Ein möglicher Grund dafür: Großer Autostandort. VW will dort seine Elektro-Flotte herstellen, mehrere tausend Mitarbeiter*innen schrauben in den Hallen. „Wenn VW hustet, hat die Region Grippe“, meint einer. Mehr Lobby geht nicht. 

Zwickau könnte also so etwas sein, wie das Wolfsburg des Ostens, ist in Wahrheit aber wohl eher der ungeliebte Cousin. Die Menschen sagen: „Der VFL Wolfsburg bekommt Millionen vom Konzern und der FSV Zwickau nur Brotkrumen.“

Für die Freie Presse berichte ich vom Simson-Festival und treffe einen ehemaligen Bergarbeiter. Ich habe tolle Kolleg*innen, wir sprechen viel über Lokaljournalismus und auch über Ost und West. Mein Fazit: Es braucht mehr Geld im Lokaljournalismus. Denn für eine Demokratie ist er unverzichtbar. Zum Beispiel: Um mal VW auf die Finger zu schauen.

Zu spät?

Am Samstagabend schlendere ich nach der Arbeit durch die Zwickauer Innenstadt. Auf dem Rathausplatz wurde eine große Bühne aufgestellt, kleine Zelte reihen sich aneinander. Darin sitzen junge Linke aus Leipzig, die über die Nachwendezeit diskutieren wollen, nebenan klärt die Geschichtswerkstatt Zwickau über den NSU auf.

Die Veranstaltung nennt sich „Wann, wenn nicht jetzt?“. Es sind Ostdeutsche, die dem Rechtsruck entgegen wirken wollen. Sie kommen aus Leipzig, Dresden und auch aus Zwickau. Und sie haben gute Gedanken, wichtige Gedanken. Nur interessiert sich kaum jemand dafür.

Am frühen Abend tritt eine Frau im weißen Shirt auf die Bühne. Sie sagt: „Toll, dass ihr alle da seid. Auch wenn wir nur wenige sind…“ 

Und sie hat Recht: Die Besucherzahl ist überschaubar. Wenn man großzügig zählt, haben sich etwa hundert Menschen über den Platz verteilt. Einige von ihnen sind extra angereist.

Dabei spielen tolle Musiker*innen auf der Bühne, am Nachmittag diskutieren Bürgerrechtler*innen und das Essen schmeckt obendrein. Als ich nach Hause gehe, bleibt mir das Gefühl: Vielleicht kommt diese Initiative zu spät. 

Vielleicht, denke ich, sind bereits zu viele Menschen weggegangen.

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