Der Chefredakteur des Nordkurier, Jürgen Mladek, über westdeutsche Berichterstattung und die Zukunft der Lokalzeitung
Sie sind in Westdeutschland geboren, aufgewachsen und haben dort Ihre Ausbildung gemacht. Jetzt leiten Sie eine der größten Lokalzeitungen in Mecklenburg-Vorpommern. Wie ostdeutsch sind Sie mittlerweile?
Schon ziemlich ostdeutsch. Ich verstehe viele in meiner alten Heimat nicht mehr und ich ärgere mich, als ob es mich persönlich trifft, wenn Klischees über „den Osten“ oder „die Ossis auftauchen. In Westdeutschland sprechen sie viel zu oft noch von den „Jammerossis“, den Ossis, die nicht weltoffen sind, die sich nach Autoritäten sehnen, die immer unzufrieden sind.
Wie westdeutsch ist die überregionale Berichterstattung über die Region heute?
Ich würde sagen: Die ist durchgehend sehr westdeutsch. Das fängt bei der dpa an, die gerade bei bunten oder historischen Themen die frühere Existenz eines zweiten deutschen Staates überhaupt nicht auf der Uhr hat. Das deutsche Kultauto ist dann der VW-Käfer und die erste Astronauten-Sensation ist die Mondlandung. Sigmund Jähn zum Beispiel als erster deutscher im All ist nicht so wichtig.

Und wie könnte man das ändern?
Bei der Berichterstattung merkt man: Da sitzen viele Leute, die eine stark westdeutsche Prägung haben. Und ich bin mir relativ sicher: Wenn man bei den überregionalen Medien durch die Redaktionen geht, findet man nur eine geringe Zahl Ostdeutscher. Die Durchmischung stimmt nicht.
Welche Erfahrung haben Sie in der Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen aus Berlin und Hamburg?
Auf der kollegialen Ebene verstehen wir uns sehr gut. Also: Wenn es um einzelne Themen geht, rufen die Kollegen oft hier an. Auf einer institutionellen Ebene hingegen findet gar keine Zusammenarbeit statt.
Und wie könnte man die Zusammenarbeit ganz konkret zwischen Reportern von überregionalen Medien und Lokalzeitungen verbessern?
Wo es sich natürlich anbieten würde: In der Parlamentsberichterstattung. Es würde uns sehr helfen, wenn wir als Lokalzeitung ohne Hauptstadtbüro mit Büros in Berlin zusammenarbeiten könnten. Die Kollegen in der Hauptstadt könnten uns von dort auf dem Laufenden halten und wir im Gegenzug könnten rückkoppeln, was die Leute in den Wahlkreisen umtreibt.
Ein Beispiel: Bei den vielen Portraits über Philipp Amthor, der hier seinen Wahlkreis hat, da habe ich mich schon gewundert: Es wurde überhaupt nicht bei uns nachgefragt, was wir über ihn wissen und wie wir ihn erlebt haben, als er noch kommunalpolitisch aktiv war. Da hätten wir eigentlich einen guten Input geben könnten.
Was wäre der nächste Schritt, um das zu verbessern?
Ich habe keine Idee, wie man das institutionalisieren kann – aber ein erster Schritt wäre: Die Einladung anzunehmen. Wir freuen uns über Nachfragen, weil gerade unsere Region oft mit einer sehr vorgefassten Meinung publizistisch bearbeitet wurde.
Wie meinen Sie das?
Viele Journalisten haben schon ein fertiges Bild von Vorpommern und diesem Teil Mecklenburgs. Sie reproduzieren dann einfach das, was in der Redaktion in Berlin, Frankfurt oder Hamburg als Erwartungshaltung mit auf dem Weg gegeben wird.
Und welches Bild wäre das?
Das ist doch klar: Entvölkertes Land, Naziland – so wie jetzt die FAZ das zuletzt unschön zusammen gefasst hat: rückständig, Verlierer, Jammerossis.
Was könnten denn auf der anderen Seite die Lokalzeitungen verbessern, um das zu ändern?
Wir agieren auch als Anwalt der Region und der hiesigen Leserschaft – und wir reagieren auch ein wenig gekränkt, wenn die Region ungerecht dargestellt wird. Es gibt Leute von außen, die werfen uns dann eine „Bunkermentalität“ vor und: Dass wir mit dem Blick von außen nicht klar kommen würden. Da können wir vielleicht an der Willkommenskultur arbeiten und sagen: Schwamm drüber, es kommen andere Zeiten und vielleicht auch andere Leute mit mehr Neugier.
Welche Rolle wird der Lokaljournalismus in Zukunft haben?
Ich glaube, wenn er gut ist, dann ist er unverzichtbar. Die Regionalzeitung ist eigentlich das erste soziale Netzwerk. Sie führt Leute zusammen, die eigentlich sehr unterschiedlich sind. Die Leser haben unterschiedliche Berufe, unterschiedliche politische Ausrichtungen – aber die haben eine gemeinsame politische Plattform. Jeder weiß von jedem auf welchem Kenntnisstand er ist. Wir können uns über gewisse Dinge austauschen, weil ein Grundverständnis vorausgesetzt ist.
Ich denke, je mehr die Gesellschaft vereinzelt und auseinanderfliegt – desto wichtiger wird eine moderierte und „kultivierte“ Plattform, auf der man angstfrei unterschiedliche Ideen für die Gestaltung der Gemeinde ansprechen kann. Und wo man verlässliche Informationen findet. Ich glaube, es ist wichtig, dass es noch eine Instanz gibt, bei der die Leute wissen: Das, was da steht, stimmt.