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Der Wiedergänger – Zwickau

Ein tot geglaubtes Moped ist zurück im Rennen. Warum es sich lohnt, in eine Simson zu investieren

Dieser Text ist im Auftrag der Freien Presse entstanden

Wenn man Mario Schulz fragt, wie viel Geld in einer Simson steckt, dann wischt der 43 Jahre alte Mann über sein Smartphone und zeigt Fotos von großen Hallen, in denen hunderte Mopeds in allen Farben und Formen nebeneinander stehen. Ein Bekannter von ihm ziehe gerade ein großes Geschäft auf. Er sagt: „Mit jedem Jahr werden die Mopeds teurer.“

Schulz hat seinen Laden auf dem Simson-Festival in Zwickau aufgestellt. Er steht vor einem breiten Holztisch auf dem große Schrauben, Metallteile und Ketten liegen. Ein Geruch von Abgasen liegt in der Luft, der Lärm von knatternden Motoren übertönt alle Gespräche. Eigentlich wohnt er in der Nähe von Rostock, im Sommer tingelt er über die Simson-Treffen. Von einem Wohnwagen aus verkauft er Ersatzteile, um seinen Stand drängen sich dutzende Besucher. Er sagt: „Der weite Weg lohnt sich.“

Vor einigen Jahren hatte er einen großen Haufen Ersatzteile aus einem Nachlass erhalten und sie auf dem Flohmarkt verkauft. Als er merkte, wie groß das Interesse war, machte er daraus ein Geschäft. Er sagt: „Ich hätte nie gedacht, dass Simson-Ersatzteile mal so gefragt sein würden.“

Um das DDR-Moped ist ein Hype entstanden – und der treibt den Preis in die Höhe. Simson-Mopeds könnten die nächsten begehrten Kult-Fahrzeuge werden. Der Grund dafür liegt auch in ihrer Geschichte.

Im Jahr 1856 hatten die jüdischen Brüder Simson im thüringischen Suhl ihr Unternehmen als Stahlproduktion für Waffen gegründet, vierzig Jahre später produzierte das Unternehmen die ersten Fahrräder, 1911 folgten Automodelle. Als die Nazis die Macht übernahmen, musste die Familie Simson 1936 in die Schweiz fliehen, das Unternehmen wurde enteignet, umbenannt und für die Rüstungsindustrie verwendet. Erst nach dem Krieg erhielt es seinen Namen zurück, wurde Staatseigentum und bekam den Auftrag, ein robustes Zweirad zu produzieren.

Von da an begann die Erfolgsgeschichte der Simson. 

Nach den ersten Rollern und Mopeds entwickelte 1961 der Thüringer Erhard Werner die Schwalbe: Ein robustes Moped, das leicht zu reparieren ist und sich auch für holprige Straßen auf dem Land eignet. Die Schwalbe wurde so etwas wie der ostdeutsche Gegenentwurf zur italienischen Vespa. Nach der Schwalbe folgte der Spatz, Star, Sperber und Habicht und 1975 schließlich die S50. Etwa sechs Millionen Fahrzeuge liefen seit den 60ern übers Band. Man kann sagen: Simson machte die DDR mobil.

Doch dann kam die Wende und mit ihr der freie Markt. Zwölf Jahre lang hielt die Suhler Fahrzeugwerk GmbH noch durch, dann meldete sie Insolvenz an. 

Es hätte das Ende der Simson sein können. Statt dessen erlebten die Mopeds kurz darauf eine Wiedergeburt.

Während sich in Zwickau das Flugfeld zur Simson-Pilgerstätte verwandelt, sitzt etwa 500 Kilometer entfernt Holger Jeschke in seiner Küche in Hamburg und sagt am Telefon: „Als ich mich mit der Geschichte der Simson beschäftigt habe, wurde mir klar: Diese Maschine darf nicht sterben.“ Jeschke ist 73 Jahre alt, vor 17 Jahren kaufte er sich die erste Simson-Schwalbe, reparierte sie, verkaufte sie weiter. Heute kann er sich vor Aufträgen kaum retten.

Jeschke nennt sich mittlerweile „Schwalbendoktor“, seine Kunden kommen aus allen Ecken Deutschlands, um sich bei ihm eine Simson-Schwalbe zu kaufen. Er repariert alte Modelle und baut aus Ersatzteilen neue zusammen. Die Nachfrage steigt, das Angebot sinkt. Echte Schnäppchen sind heute kaum noch zu finden. Jeschke sagt: „Die Simson-Mopeds sind eine Geldanlage.“ Früher habe man für einen Torso etwa 250 Euro bezahlt, „heute muss man selbst für ein rostiges Teil schon 800 Euro zahlen.“ Eine fahrtüchtige Schwalbe kostet bei ihm rund 3000 Euro. Er glaubt: Der Wert wird in den nächsten Jahren noch weiter steigen. 

Denn die Simsons gelten als langlebig, robust und leicht zu reparieren. Noch immer werden in Polen und Ungarn Ersatzteile hergestellt. Außerdem dürfen die Mopeds bis zu 60 Stundenkilometer schnell gefahren werden, auch ohne Motorradführerschein. Der Grund: Eine Sonderregelung im Einigungsvertrag. Jeschke sagt: „Das zieht besonders junge Kunden an.“

Auf dem Simson-Festival in Zwickau liegt derweil eine Staubwolke über dem Flugfeld. Tausende Jugendliche brettern auf ihren Mopeds zwischen den Zelten durch. Die meisten von ihnen fahren das S51-Modell, das an ein Motorrad erinnert. Es ist bereits das 17. Festival in Zwickau, mit jedem Jahr kommen mehr Besucher, viele von ihnen sind noch keine zwanzig. Für sie beutetet die Simson ein Lebensgefühl. Die Mopeds sind Kult

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