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„Dann kam der Neid“ – Meyenburg

Meyenburg in der Prignitz, brandenburgisches Land, rund 3000 Einwohner: Einer dieser Orte, die in keiner Zeitung mehr auftauchen. Was hat die Wende mit der Stadt gemacht?

Ich bin mit Rosie und Frank verabredet, Mutter und Sohn, beide haben ihr Leben hier verbracht. Rosie ist 76 Jahre alt und besitzt einen kleinen Garten am Stadtrand, dahinter beginnen die Kornfelder. Sie laden mich ein zu Schnittchen und Bier. Spontan kommt noch Elke dazu, eine alte Freundin von Rosie.

Rosie, wie kamt ihr zu dem Garten?

Rosie: Die Fläche hier war mal ein Stück vom Acker. Der eigentliche Besitzer ist damals in den Westen gegangen und die Fläche lag brach. Wir dachten uns: Das gehört nun sicher der Stadt, also haben wir eine Laube raufgesetzt und einen Garten angelegt. Aber wir hatten den Garten nicht zum Spaß, sondern haben hier Gemüse angebaut. Denn es gab ja nicht viel zu kaufen. Also haben wir geerntet, was die Saison brachte, der Rest wurde eingeweckt.

Elke: Ha, und dann kamen manchmal auch noch die Wessis vorbei. Bei uns kam jedes Jahr die Verwandtschaft aus Spandau, West-Berlin, zu Besuch. Die haben auch immer was mitgebracht  und so getan, als wäre das wertvoll. Später haben wir dann gesehen, wie teuer das im Aldi-Geschäft wirklich ist. Die haben mit so einem Päckchen Markus-Kaffee rumgeprotzt und taten so als hätte der zehn Mark gekostet.

Im Gegenzug haben die von uns immer ordentlich Fleisch und Eier eingesackt, und wir haben gedacht: Oh die Westler, denen müssen wir was mitgeben, so als Gegengeschenk. Die haben sich die Taschen immer richtig vollgehauen. Später sind wir mal hingefahren, haben hinter die Kulissen geguckt und gemerkt: Das ist alles gar nicht so schick bei denen.

In den letzten Tagen bin ich vielen Leuten begegnet, die gesagt haben: Früher haben die Menschen in Ostdeutschland gemeinschaftlicher gelebt. Stimmt das?

Frank: Ja, auf jeden Fall. Wir haben nach der Wende eine Zeit lang versucht das beizubehalten. Zum Beispiel haben wir uns als Handwerker immer zum Meisterbier zusammen gesetzt. Aber irgendwann hörte das auf und dann ging der Neid los. Die Leute wurden dann schon neidisch aufeinander, wenn sich einer ein neues Auto gekauft hatte.

Was war denn früher so gemeinschaftlich?

Elke: Feiern, Geburtstage. Und wenn du nur eine Couch hattest, wir haben trotzdem gefeiert, selbst wenn wir übereinander gesessen haben

Rosie: Früher hast du nach der Arbeit aus dem Fenster geguckt: Wer ist denn so da? Und dann haben wir uns einfach hingesetzt und geredet, oder am Wochenende haben wir spontan die Tische rausgestellt und unser Neubaufest gemacht. Solche Sachen sind zu DDR-Zeiten einfach mehr gewesen.

Elke: Es gab auch eine Gemeinschaftskasse, aus der wir dann unsere Feiern bezahlt haben.

Rosemarie: Und mit den Russen haben wir auch gefeiert. Also nur bei den Freundschaftsabenden ab und an mal natürlich. Nicht ständig.

Mit den Russen?

Frank: Die Russen haben aus Mangel an Flugzeugen eine AN2 geschickt zum Düngen. Die waren dann über mehrere Monate bei uns stationiert und die Männer und Frauen aus dem Neubau hier, die waren mit denen gut befreundet.

Rosie: Mein Mann Günther ist immer mit denen zum Russenmagazin gefahren und wir Frauen aus dem Büro haben ihre Wohnung sauber gemacht und für die eingekauft. Wir haben auch gemeinsam Freundschaftsabende gemacht, getanzt und getrunken.

Elke: Ich weiß noch, da kam mein Gatte einmal nach Hause, schon angetrunken und er meinte: Ab jetzt brauchen wir eine Gurke im Haus. Eine Gurke? Hab ich gefragt. Und er meinte: Ja, so machen das die Russen. Eine Gurke aushöhlen und dann den Klaren da rein und austrinken. Ich habe das dann auch mal probiert, aber für mich war das nichts

Frank: Stogram. Die hatten Wodka, wir hatten Goldkrone. Und wir haben die dann auch mal eingeladen, aber Goldkrone konnten die nicht ab. 

Rosie: Danach waren die blau. Die meinten immer: Rosie, Essen und trinken, wir sollen den ganzen Wodka mit einem Zug austrinken, aber Goldkrone, den haben die nicht vertragen.

Frank: Wir hatten hier im Wald außerdem noch russische Truppen stationiert. Die sind mit ihren Flugzeugen oft im Tiefflug über Meyenburg geflogen und wir haben uns auf den Boden geworfen, weil die so laut waren.

Außerdem hatte unser Bahnhof eine Verladerampe stabilem Beton. Die Russen sind mit ihren Panzern in langen Kolonnen durch Meyenburg gefahren. Damals hatte die Hauptstraße nur Kopfsteinpflaster und in unseren Häusern haben die Gläser gewackelt.

Rosie: Wir sind manchmal in den Wald gegangen, um Pilze zu sammeln. Da standen überall Schilder und wir mussten aufpassen, dass uns die Posten nicht sehen. Einmal haben sie uns das Nummernschild vom Auto abmontiert als Strafe dafür, dass wir im Wald waren.

Frank: Und jeden Sommer hat es da gebrannt, weil der Boden so munitionsverseucht war. So wie jetzt gerade auch wieder. Nach der Wende zogen die Russen dann aber ziemlich schnell ab.

Rosie: Wir haben die Russen damals über das ACZ kennen gelernt, da war ich im Deutsch-Sowjetischen Frauenverein, die Freundschafts-Bücher habe ich immer noch zu Hause.

Was ist das ACZ?

Rosie: Das Agrochemische Zentrum. Das ist der große Arbeitgeber in Meyenburg gewesen. Die haben Dünger gestreut, und Transport organisiert. Zum Beispiel von Kartoffeln zur Stärkefabrik, oder von den Zuckerrüben hier aus der Gegend.

Frank: Die hatten eine große Lagerhalle mit Dünger. Der wurde mit Zügen hergebracht und dann mit Schippen und Kran verladen.

Rosie: Und das gab gutes Geld. Wir hatten früh ein Kind, wir brauchten das ja. Mein Mann Günther wurde schonmal an Silvester angerufen und zum Verladen geholt.

Wir haben die Zeit durchgemacht, als alles stiller wurde

Und wie hat die Wende dann das Leben hier verändert?

Rosie: Nach der Wende hat wegen der Entlassungen dann einer nicht mehr mit dem Anderen gesprochen hat. Wir haben die Zeit durchgemacht, als alles stiller wurde nach der Wende.

Frank: Nach der Wende wurde das ACZ durch den Treuhandvertrag abgewickelt. Es hieß: Das war nicht mehr wirtschaftlich. Viele, die hier gearbeitet haben, mussten anschließend in den Westen, um da zu schuften. Mit einem Mal war das Leben anders und du kannst dir vorstellen: Die waren alle richtig sauer. Wenn du es nicht geschafft hattest, die Kurve zu kriegen, warst du im Arsch.

Rosemarie: Als die Wende kam, da ging alles ganz schnell: Erst wurden wurden die Leute entlassen, dann der ganze Betrieb verkauft. Mein Mann ist gleich 1991 arbeitslos geworden. Der ging erst noch für ein halbes Jahr in die Nähe von Osnabrück, um Kabel zu verlegen. Sonntagabend hin, Freitag zurück. Das war eine harte Zeit. Aber nach ein paar Jahren wurde er wieder arbeitslos und saß zu Hause. 

Frank: Und dann kam auch noch der Neid.

Rosie: Wir haben in unserem Betrieb immer gesagt: Wir werden zusammen alt. Dann kam die Wende und dann war nichts mit zusammen alt werden. Die Zeit nach der Wende hat manche Menschen sehr verändert. Ich hatte Glück und durfte meine Stelle behalten. Manche Frauen haben deshalb nicht mehr mit mir geredet. Die haben dann gesagt: Die kann dahin fahren und warum wir nicht?

Frank: Natürlich hat auch vorher schon einer zum anderen geschielt, aber nicht in dem Maße wie es heute ist. Das war ein schleichender Prozess. Der eine hat Arbeit bekommen, der andere nicht. Manche konnten sich mehr nach der Wende leisten, die haben sich ein neues Auto gekauft, neue Möbel, die haben Kredite aufgenommen, und einige haben sich auch verkalkuliert. Der Luxus kam sehr plötzlich, andere wurden hingegen arbeitslos.

Rosie: Die Betriebe hätten nicht Knall auf Fall abgewickelt werden dürfen, nach dem Motto: Was vom Westen kommt, ist alles besser und schöner. 

Und wie seht ihr das nun im Vergleich: Früher und heute?

Frank: Es ist ein angenehmes Landleben gewesen damals. Es gab hier alles. Jetzt gehen die Leute nach und nach weg. Es gibt keine Sportfeste mehr zum 1.Mai, weil niemand da ist, der das organisiert. Es gibt zum Glück noch die Vereine, die Feuerwehr, den Karneval und den Fußball, die binden die Jugendlichen gut ein.

Aber die ländlichen Regionen werden vernachlässigt. Die kleinen Leute haben einfach keine Lobby.

Rosie: Ich habe keine Lobby?

Frank. Nein! Autohersteller zum Beispiel haben eine Lobby, aber in der ehemaligen DDR gibt es eben keine Autohersteller. Die sitzen alle im Westen und Ossis haben keine Chance da mitzumachen. Und genauso ist es in der Politik. 30 Jahre nach der Wende schaffen es die Ossis da immer noch nicht rein.

Im September sind in Brandenburg Landtagswahlen. Glaubt ihr das die Wahlen hier was verändern können?

Rosie: Ach, wir denken nur an Meyenburg und nicht weiter. Aber wer soll denn hier was ändern? Aber so ist das eben. Wir hatten trotzdem eine gute Zeit zusammen.

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